Werde Lehrer für Typografie und Schriftentwurf

Die Staatliche Akademie der Bildenden Künste Stuttgart hat eine tolle Stelle ausgeschrieben. Aber die Bezahlung ist so bescheiden, ich bezweifle, dass sie dafür viele Bewerbungen von Koryphäen der Schriftwelt erwarten können.

An der Staatlichen Akademie der Bildenden Künste Stuttgart ist zum
1. Oktober 2010 die Stelle einer/eines
Technischen Lehrerin/Lehrers für Typografie und Schriftentwurf
zu besetzen. Die Anstellung erfolgt im Angestelltenverhältnis (TV-L 9). Aufstiegsmöglichkeiten sind gegeben. Bei Eignung ist eine spätere Übernahme in ein Beamtenverhältnis möglich.

Aufgabengebiet: Vermittlung von Theorie und Praxis der typografischen Gestaltung und des Schriftentwurfs mittels aktueller Software. Die Bereitschaft zur Betreuung der Handsatzwerkstatt und eventuell notwendige Einarbeitung in technische Abläufe wird erwartet. Ferner fallen Dienstleistungen in praktisch-technischer Hinsicht im Rahmen von künstlerischen Entwicklungsvorhaben sowie Wartungsarbeiten von Einrichtungsgegenständen und Geräten an. Im Rahmen der offenen Werkstattstruktur liegt der Schwerpunkt derzeit auf der Betreuung von Studierenden des Studiengangs Kommunikationsdesign. Darüber hinaus wird die Betreuung von Studierenden der Studiengänge Textilgestaltung, Industrial Design und der Kunsterziehung erwartet.

Einstellungsvoraussetzungen: Zumindest eine einschlägige Meisterprüfung mit entsprechender Weiterbildung oder Berufspraxis oder eine vergleichbare Qualifikation (Gestaltungs-Hochschulstudium). Gute fachliche Leistungen in der Praxis, pädagogische Eignung und Bereitschaft zur Kooperation. Aufgeschlossenheit und Engagement gegenüber künstlerischen Problemstellungen.

[…]

Ich kenne die Zwickmühle von Stellenplänen sehr genau; oft sind sie uralt und werden ohne Anpassung immer weiter fortgeschrieben.

Bei der erwähnten Position handelt es sich um die eines »Technischen Lehrers«, auch vergleichbar mit »Lehrkraft für besondere Aufgaben«.
Das sind Stellen, die an Werkkunst- oder danach Fachhochschulen ursprünglich Meister, bzw. Könner mit abgeschlossener Lehre inne hatten, die eine Werkstatt leiteten – Druckvorstufe, Siebdruck, Modellbau, was auch immer. Im Bereich Kunst und Produktdesign gibt es noch heute viele solcher Gewerke, für die eine besondere Ausbildung erforderlich ist.
Aber im Bereich Typografie? Wer ist denn heute noch Schriftsetzer und kann gar eine Handsatzwerkstatt leiten? Diesen Ausbildungsberuf gibt es seit Mitte der 1990er Jahre nicht mehr (illuster vor allem vor dem Hintergrund, dass sich viele Länder sträuben, jemanden für eine Beamtenlaufbahn in Erwägung zu ziehen, der älter als 45 ist).

Und Schriftgestaltung soll ja auch noch unterrichtet werden. Früher konnte man in den Zeichenateliers von Stempel, Berthold et al eine Ausbildung machen. Heute wird man eher über ein einschlägiges Studium und/oder autodidaktisch und/oder über ein post-graduales Programm wie in Den Haag oder Reading zur Schriftgestaltung kommen.
Denjenigen mit Masterabschluss – und Berufserfahrung! – will ich sehen, der für eine TV-L 9* Stelle mit einem Einstiegsgehalt von 2229 Euro Brutto und einer Wochenarbeitszeit von 39,5 Stunden nach Stuttgart zieht.

Liebe Hochschulen, liebe Länder, passt bitte Eure Stellenpläne endlich den beruflichen Wirklichkeiten an und schafft mehr ordentlich bezahlte** Stellen im Mittelbau.
* TV-L 9 = niedrigste Entgeltgruppe im gehobenen Bereich, erfordert min. abgeschlossene Fachhochschulausbildung, Bachelor oder wie hier Meisterprüfung plus Weiterbildung

** z.B. TV-L 13 = niedrigste Entgeltgruppe im höheren Bereich, für Beschäftigte mit abgeschlossener wissenschaftlicher Hochschulausbildung (Universität) oder Master, Einstiegsgehalt 3028 Euro

  • Lieber 50% TV-L 13 als 100% TV-L 9.
    Dann könnte man wenigstens (guten Gewissens) noch was anderes nebenbei machen.

  • Guten Tag,
    die Kritik ist nicht ganz unberechtigt. Aber: die Stellenbeschreibung lässt sich nicht einfach ändern, ohne zB auf die mittlerweile seltene Einrichtung der Handsatzwerkstatt zu verzichten. Und die Bezahlung ist nun mal in einem sogenannten Säulenmodell so festgelegt, dass jeder, der neu dazukommt, eben unten anfangen muss. Werkstattstellen können auch nicht höher dotiert werden, so wünschenswert das wäre.

    Dafür gibt viele Vorteile: Bei jüngeren Bewerbern ist die Zukunftsaussicht nicht schlecht, eine regelmäßige Gehaltserhöhung ist vorgesehen und der Job ist sicherer, als in der freien Wirtschaft. Viel wichtiger noch: Das Arbeitsumfeld ist äusserst angenehm, seien es Kollegen oder vor allem Studierende und und viel freier, als in einem weisungsgebundenen Job in der Wirtschaft. Dass es eine historische Handsatzwerkstatt zu betreuen gilt, ist für mache junge Typografen besonders attraktiv, auch wenn sie sich erst einarbeiten müssen.

    Der bisherige Stelleninhaber hat nicht nur begeisternden Unterricht angeboten, sondern auch mit Studenten Preise für eine Schriftedition eingeheimst.

    Klar, reich wird man nicht, viele werden aber glücklich in einer solchen Position.

  • >Der bisherige Stelleninhaber hat nicht nur begeisternden Unterricht angeboten,
    >sondern auch mit Studenten Preise für eine Schriftedition eingeheimst.

    Warum gibt der bisherige Stelleninhaber die Stelle jetzt auf?

  • … seine Liebe gilt nicht nur der Typografie, sondern auch seiner Frau. Die aber tritt einen Job im Ausland an und er geht natürlich mit …

  • Lieber 50% TV-L 13 als 100% TV-L 9.

    Dies wäre nicht nur besser für mögliche Kandidaten, sondern auch besser für die Akademie. Weil man dann im Praxis aktiv bleiben kann, was eine Mehrwert bedeutet für die Studenten.

    Das ist/war auch üblich an der Kunsthochschule in Den Haag (KABK).

  • Im Grunde wird hier ja eine „Eierlegende Wollmilchsau“ – die technisch-wissenschaftlich-kreative-vielseitig-versierte studierte Fachkraft für die Akademie der Bildenden Künste gesucht.
    Mir ist es völlig schleierhaft wie hier sehr hoher Anspruch und die geringe Bezahlung einher gehen sollen… Ich finde das inzwischen „typisch deutsch“… – hier hat sich wohl beim Rektor dieser sog. Akademie das Gedankengut der Marktschreier breitgemacht: Möglichst viel Leistung bekommen und möglichst wenig dafür bezahlen wollen. wie kann das sein?
    Warum wird dieser, offensichtliche, Widerspruch nicht auch von denen kritisiert, die mit dem Anspruch an die Akademie gehen, eine der führenden Bildungseinrichtungen in diesem Sektor zu besuchen?
    Wie motiviert sich jemand für diesen kläglichen Lohn täglich höchste Leistung (Wissenstransfer…) an die Studenten weiterzugeben? Eine solche Person macht dies sicher nicht nur aus Liebe zum Medium Schrift und Typografie, der muss auch davon leben können….

    Ciao
    Reinhard

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