Die tollsten Schriften des Jahres* (Teil 1)

* und andere ** typografische Ereignisse
** persönliche

Hinüber ist bereits der zweite Advent und so komme ich langsam in eine Stimmung, die in den nächsten Tagen sicher jede zweite website übermannen wird: ein Jahresrückblick. Und was war das für ein Typojahr!

Es begann gleich sehr aufregend. Mit völlig eingerostetem Englisch quälte ich mich zu Beginn des Jahres mit meinem Vortrag für TypeShed11 in Wellington, eine tolle Konferenz Mitte Februar nur lächerliche 36 Flugstunden entfernt.


Paul van der Laan sandte mir kurz vorher eine gerade fertig gestellte Schrift, an der er mitgearbeitet hat, und die ich gleich für meine Präsentation ausprobierte. Ich würde sie gar als die Neuerscheinung des Jahres bezeichnen: FF Milo Serif von Mike Abbink. Wunderbar klar, lesbar und freundlich, auch auf dem Bildschirm, in Drucksachen sowieso. Für mich eine der universellsten Leseschriften und mit ihrer serifenlosen Mutter sehr vielseitig einsetzbar.

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Gleich nach unserem Neuseelandausflug lockte Anfang März die Robothon Konferenz in Den Haag, auf der neben dem neuesten Schrei der font-Technologie (z.B. Glyphs) auch die Schriften des Type]Media-Kurses zu sehen waren. Eine meiner Favouriten der letzten Runde ist nun seit Mitte des Jahres bei Fontshop erhältlich: Novel von Christoph Dunst.

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Dazu gabe es eine wirklich beeindruckende Ausstellung zu Ehren Tobias Frere-Jones, der den Gerrit-Noordzij-Prijz vor zwei Jahren erhalten hat. Dieses Jahr bekam ihn Wim Crouwel.

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Anfang April war ich auf der 33pt-Konferenz in Dortmund und habe endlich mal wieder Martin Majoor getroffen. Wir fachsimpelten über die Geschichte der Akzidenz Grotesk (da ist was im Busch) und die kurz zuvor veröffentlichte Ludwig seines Studienkollegen Fred Smeijers. Einen der sympathischsten Vorträge des Symposiums hielt Jos Buivenga, bekannt geworden auf myfonts mit innovativen Kostenmodellen und zu einem ernst zunehmenden Schriftgestalter herangewachsen (vor wenigen Minuten veröffentlichte er die Museo Slab). Mit Martin hat er in Dortmund ihr Gemeinschaftsprojekt Questa ausgeheckt. Wir sind gespannt.

Zwiefelsohne war die Ourtype Ludwig von meinem alten Meister Fred die am kontroversesten diskutierte Neuerscheinung des Jahres. Auch ich fand sie auf den ersten Blick erst mal erschreckend (uah, dieses a, diese G!). Aber sie hat was. Sie will polarisieren, unperfekt und ungewöhnlich sein. Sie bezieht sich deutlich auf die ersten, rohen, von hier aus unbeholfen wirkenden Serifenlosen des 19. Jahrhunderts, wie alte Stempel, Schelter & Giesecke oder Stephenson Blake Schriften. Ein wohltuender Gegenentwurf zu den sleeken, inter-polierten (ha!) und auch irgendwie austauschbaren Neohumanistsanserifgrotesken. (Zitat des Jahres von Claus Eggers Sørense). Hyphen Press hat dieses Jahr das Verlagsprogramm aus der Ludwig gesetzt und ich finde sie dort erstaunlich ruhig und selbstverständlich im Fließtext. Außerdem gibt es Alternativzeichen für die gewagtesten Buchstaben. Ja, es war Liebe – zwar auf den zweiten Blick, aber Ludwig ist sicher auch die interessanteste Serifenlose des Jahres.

ludwig

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